Bottwartalbahn Bottwartalbahn

Angekündigter Exodus

Ab 1960 schränkte die Bundesbahn den Personenzugfahrplan auf der Bottwarbahn weiter ein, weil sie verstärkt Busse einsetzte. Dass sie den Personenzugverkehr vollends aufgeben wolle, daran konnte bald kein Zweifel mehr bestehen. Im September 1964 war die neue Diesellok nach Beilstein geliefert worden, die aber nicht für Personenzüge vorgesehen war und eigentlich auch nicht für die Bottwarbahn, sondern als Reservemaschine für die beiden 75-cm-Strecken der Bundesbahn in Oberschwaben (die Öchsle-Bahn, www.oechsle-bahn.de, und die Buchauer Bahn). Etwa zeitgleich versicherte die Bundesbahndirektion Stuttgart dem dortigen Innenministerium: „Eine Stilllegung des Güterverkehrs auf der Bottwartalbahn ist nicht beabsichtigt. Nach Stilllegung des Reiseverkehrs kann der Güterzugfahrplan freizügig gestaltet werden, da (...) auf den Personenverkehr keine Rücksicht mehr genommen werden muss. Dadurch wird für die Zukunft eine zügige Abwicklung auch des Güterverkehrs gewährleistet. Bedenken wegen der Bedienung des Güterverkehrs sind daher unbegründet.“ – Diese Behauptung war Unsinn, da die Bottwarbahn über reichlich bemessene Gleisanlagen verfügte. Der Güterverkehr war auch zuvor bei stärkstem Aufkommen stets zufriedenstellend abgewickelt worden, ohne den Reisezugbetrieb zu behindern. Schon im Dezember 1964 sickerte jedoch im Landtag durch, die Bundesbahn „hat bereits angekündigt, dass mit der vollständigen Stilllegung dieser Strecke zu rechnen ist. Sie beabsichtigt, demnächst das Land (...) um Stellungnahme hierzu zu bitten.“ Somit war auch die generelle Behauptung der Bundesbahn von einem Vierteljahr vorher als Lüge enttarnt.


Güglingen im Zabergäu, 1964/65: So sieht eine Umspurung aus. Die Schmalspurlok schleppt die alten Gleise an, hinten fährt bereits der damals moderne Schienenbus (Dieseltriebwagen) auf Regelspur. Eine Umspurung kann sinnvoll sein. Wenn man das Geld dafür nicht auftreiben kann, muss man die Vorteile der Schmalspur nutzen, anstatt unerfüllbare Ansprüche zu stellen. Das heißt dann nicht, dass man nicht später doch noch umspuren kann. | Foto: Slg. Dr. Seidel

Schon etwas vor jener Landtagssitzung, im November 1964, regte ein Leserbriefschreiber in der Stuttgarter Zeitung die Gründung einer Aktionsgemeinschaft Bottwartalbahn an mit dem Ziel einer Umstellung auf Regelspur. Er verwies auf die bereits erfolgte Umspurung der Zabergäubahn und auf die Zustände auf der Bottwarbahn: „Heutzutage beträgt die Fahrzeit des einzigen noch werktags verkehrenden Zuges von Marbach bis Beilstein 44 Minuten. Ferner verkehren bis auf eine Ausnahme nur alte zweiachsige Wagen mit Holzbänken, in denen man bei einer Fahrt durch die vielen Schienenstöße stark verschüttelt wird. Deshalb ist es kein Wunder, wenn immer weniger Leute den Zug benutzen (...). Mein Wunsch ist, dass recht bald eine Aktionsgemeinschaft Bottwartalbahn ins Leben gerufen wird und genauso erfolgreich arbeitet wie die der Zabergäubahn.“ (Quelle: Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Bestand EA 2/904 Büschel 179/2). – Hinweis des Autors der Internetseite: Die Reisezeit im Bus Marbach – Beilstein beträgt heute 46 Minuten bei der Standardlinie 460 über Gronau bei Spitzentempo 80. Da die Bahn auch schon 1964 nicht hätte mit Tempo 30 fahren müssen, sondern auch Schmalspurfahrzeuge für Tempi bis 60 km/h verfügbar waren, hätte man nicht die Schmalspur als solche kritisieren müssen. Eine Umspurung war zweifellos wünschenswert, aber der Wunsch danach riskant, wie wir noch sehen werden. Die zusätzliche Buslinie 462 bedient heute die Relation Marbach – Beilstein in 29 Minuten, allerdings nur im Berufsverkehr und unter Bedienung von zwei Orten unterwegs, während die Bahn in vier Zwischenorten anhielt. Um das Jahr 2005 lag die Reisezeit der Linie 460 noch bei 38 Minuten über Gronau; die Reisezeit verlängert sich im 21. Jahrhundert also, anstatt kürzer zu werden.

Zabergäu als Vorbild?

Bei der Zabergäubahn lagen die Dinge bereits anders (www.zabergaeubahn.de). Diese Strecke war 1896 zunächst von Lauffen am Neckar über Brackenheim nach Güglingen eröffnet worden, gemäß dem sinnvollen Schema des württembergischen Lokalbahnsystems ebenfalls als 75-cm-Schmalspurstrecke wie die Bottwarbahn. Man ersieht daraus, dass die Anbindung von Brackenheim und Güglingen ebenfalls sehr früh als wichtig erachtet wurde. 1901 war die Verlängerung über Pfaffenhofen und Zaberfeld bis zum Weiler Leonbronn erfolgt, wieder in 75-cm-Spur, weil eine Durchbindung bis Knittlingen zum dortigen württembergischen Lokalbahnprojekt aus Richtung Bretten geplant war. 1954 hatte die Bundesbahn den Reisezugverkehr im Zabergäu bis auf ein Zugpaar am Werktag (Berufsverkehr) auf die Straße verlegt, gemäß den Auflagen aus Bonn. Das restliche Zugpaar umfasste etwa zehn Personenwagen mit zusammen gut 300 Plätzen. Trotz des Personalaufwandes von drei Mann im Zug (heute wäre es eine Person) war eine solche Zugfahrt immer noch wirtschaftlicher als der Einsatz vieler gleichzeitiger Busse. 1959 kam es mit einem Bus, der sonntags also anstatt eines Zuges fuhr, zu einem grausigen Unglück, bei dem mehr als zwei Dutzend Menschen ihr Leben verloren. Als Reaktion gründeten Bewohner und Kommunen der Orte zwischen Lauffen und Zaberfeld die „Aktionsgemeinschaft Zabergäu“. Diese forderte von der Landespolitik eine Aufwertung der Gegend und den Bau besserer Verkehrswege, an erster Stelle eine Modernisierung der schmalspurigen Bahnstrecke. Dazu ging die Bevölkerung buchstäblich auf die Straße, Demonstrationen und Protestzüge mit Traktoren und Lkw fanden statt, Mistgabeln wurden „gegen Stuttgart“ gereckt. Die Bundesbahn signalisierte auf politischen Druck auf Stuttgart, dass sie bereit wäre, den Personenverkehr auf dieser Relation wieder weitgehend auf die Schiene zurückzuverlagern (jedoch nur auf dieser Strecke). Sie plante daraufhin eine Sanierung des Gleises, die Beschaffung von zwei Dieselloks und fünf (langen) Personenwagen, welche die alten zehn kurzen Wagen ersetzen sollten. Um 1961/62 wendete sich die Haltung im Zabergäu dergestalt, dass die Aktionsgemeinschaft nun eine Umstellung der Strecke auf Regelspur forderte. Dies gelang: 1964 erfolgte der Totalumbau der Strecke bis Güglingen, bis 1965 war auch Leonbronn erreicht. Bundesbahn und Land teilten sich die Kosten, die Kommunen übernahmen flankierende Maßnahmen.


Das Zabergäu mit seiner Aktionsgemeinschaft hatte es geschafft: Umbau auf Regelspur. Dort war er technisch sinnvoll und problemlos - doch im Bottwartal wäre er im Südabschnitt nötiger gewesen. | Foto: Slg. Dr. Seidel 

Daher ist es logisch, dass man sich im Kreis Ludwigsburg in Sachen der Schmalspurbahn im Bottwartal schließlich ebenfalls – wenn auch eher spät – zur Gründung einer Aktionsgemeinschaft Bottwartalbahn zusammenfand. Dies geschah jedoch im Rahmen der bereits bestehenden kommunalen Arbeitsgemeinschaft „Verkehrsverband Murrbahn“, die sich um die Hauptstrecke Ludwigsburg/Waiblingen – Backnang – Schwäbisch Hall kümmerte. 1965 gab die A.G. Bottwartalbahn die „Denkschrift Bottwartalbahn“ heraus. In dieser wurden die Argumente pro Erhaltung des Personen- und Güterverkehrs auf der Bottwarbahn herausgestellt. Die Zielsetzung der Aktionsgemeinschaft gipfelte in der klaren Forderung, auch die Bottwarbahn auf Regelspur umzustellen, am besten auf voller Länge, mindestens jedoch von Marbach bis Oberstenfeld, Beilstein oder Ilsfeld.


Die Denkschrift der kommunalen Aktionsgemeinschaft Bottwartalbahn bündelte die Argumente pro Bahn. Weil der Kreis Heilbronn sich erst genau dann engagierte, als die Bottwarbahn bereits aufgelassen war - ab Januar 1969 -, stand der Kreis Ludwigsburg gegenüber der Bundesbahn recht alleine da

Die Gesamtmaßnahme hätte rund 18 Millionen Mark für die 27 Kilometer Marbach/EVS – Talheim erfordert, eine Summe, an der sich vor allem die Bundesbahn nicht im nötigen Maß beteiligen wollte und konnte. Land und Kommunen waren zur anteiligen Übernahme nur bereit, wenn die Bundesbahn gleichmäßig mitzog. Am teuersten war im Verhältnis der Streckenabschnitt Talheim – Schozach. Es hatte seine vorteilhaften Gründe gehabt, den „Nordast“ der Bottwarbahn in Schmalspur zu erbauen. Die Kommunen im Bottwar- und Schozachtal betonten den bis dahin bei der Landespolitik verkannten Verkehrsbedarf ihrer Gegend: Es gebe entlang der Bottwarbahn „zusammen über 20 000 Einwohner also fast doppelt so viel als die Orte an der Zabergäubahn“, so das Bürgermeisteramt Ilsfeld am 30. Juli 1964 an das Landratsamt Heilbronn. Außerdem sei „die Bottwartalbahn keine Sackbahn [blind endende Stichstrecke wie im Zabergäu], sondern letztlich – verkehrlich gesehen - praktisch eine durchgehende Linie von Heilbronn über Ludwigsburg nach Stuttgart. Außerdem sei „die Fahrt mit eigenen Fahrzeugen, abgesehen von den hohen Kosten, unbefriedigend, weil die Straße (...) einem solchen Verkehr nicht gewachsen ist.“ Ferner verfügten „alle anderen Täler (Neckartal, Leintal und Weinsberger Tal) über eine Normalspur und damit eine ordnungsgemäße Verbindung zur Stadt Heilbronn.“ Der Gemeinderat „könne nicht zustimmen, dass man dem Bottwar-/Schozachtal das versagen will, was sich anderwärts bewährt.“ Ilsfeld stellte fest: „Wenn der Personenverkehr auf der Bottwartalbahn so stark zrurückgegangen ist, so liegt die Ursache bei der Bundesbahn selbst, weil die hier eingesetzten Lokomotiven und Wagen und dadurch auch die Fahrgäste keineswegs mehr den heutigen Verhältnissen gerecht werden“ [sic]. Wie aus der Statistik der Bundesbahn hervorgehe, habe „dagegen der Frachtverkehr beim Bahnhof Ilsfeld seit 1953 etwa um das Vierfache zugenommen.“ (Quelle: Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Bestand EA 2/904 Büschel 181/1). So riesig waren auch die 18 Millionen Gesamtkosten nicht: Schon seinerzeit wurde gerügt, die Landeshauptstadt gebe für den Umbau eines einzigen größeren Knotens für den Straßenverkehr (Österreichischer Platz) bedenkenlos das Mehrfache einer solchen Summe aus, ohne dass nach der Wirtschaftlichkeit gefragt werde.

Rettung vor der Tür - fast ...

Bereits am 30. Dezember 1965 – als die Personenzüge doch noch fuhren, noch ein dreiviertel Jahr lang - stellte die Bundesbahn den Antrag auf vollständige Auflassung der Bottwarbahn.  Die weiteren Abläufe – mit der „vorsorglichen“ Kündigung der Verträge mit den Frachtkunden – schildern wir in der Rubrik ‚Hintergründe‘. Als im Frühjahr 1968 die Gespräche über die Umspurung von Marbach bis Murr auch auf das Stück bis Steinheim ausgedehnt wurden, weil Steinheims Bürgermeister Ulrich sich vehement dafür einsetzte, stellte die Bundesbahn vor der Zusage ihres Anteils an der Maßnahme die Bedingung, dass dafür der Betrieb zwischen Steinheim und Talheim – also die Schmalspurbahn – aufgelassen werde (ungeachtet des dortigen Verkehrsaufkommens). Das Herz der Bottwarbahn war nun akut bedroht. Man hatte sich also den kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt, auf die Rettung von sage und schreibe vier von ingesamt 27 Kilometern bis Talheim. Der dreischienige Abschnitt Talheim – Heilbronn stand seinerzeit nicht zur Debatte, da er ja bereits auf Regelspur bedient wurde. Problematisch war eigentlich etwas viel gravierenderes: Die Bundesbahn hatte nicht nur keine Lust mehr, die Schmalspur zu betreiben - sie hatte auch am Betrieb einer umgespurten Bottwarbahn kein Interesse, fast egal wohin. Sie sollte ja - laut Auftrag aus Bonn - Streckenkilometer streichen, nicht erhalten und dafür auch noch anteiliges Geld ausgeben. Deshalb forderte sie von den Kommunen und Anliegern verbindliche Zusagen über ein künftig steigendes Frachtaufkommen - jetzt, nachdem sie jahrelang fast systematisch die Frachtkunden vergrault hatte. Es war logisch, dass solche Zusagen nun auch wieder nicht kamen, denn das Vertrauen bei den Gewerbetreibenden hatte die Bundesbahn bereits verspielt. Als Folge präsentierte die Bundesbahn stets immer solche Begründungen, die sowohl gegen Weiterbetrieb wie auch gegen Umspurung sprachen. Mit solch einem Hund, den man zum Jagen tragen musste, konnte auf kein glückliches Ergebnis gehofft werden, gleich auf welche Weise.

Die um den Jahreswechsel 1967/68 fast schon vor der Tür stehende Übernahme der Schmalspurbahn durch die landeseigene Südwestdeutsche Eisenbahngesellschaft SWEG – mit Übertragung der Bahnstrecke um eine Deutsche Mark –, also die „große Rettung“, war trotz Zusage der Hauptverwaltung Frankfurt der Bundesbahn dann von der Bundesbahndirektion Stuttgart mit allen Mitteln abgeblockt worden, zunächst unter Hinweis auf angeblich abwanderndes Verkehrsaufkommen, das die Betriebsrechnung der SWEG wertlos mache, dann mit dem Versuch, die SWEG zur Übernahme der örtlichen Eisenbahner zu verpflichten, zu den höheren Löhnen der Bundesbahn statt der SWEG, dann schließlich – als man sich immer noch einig gewesen wäre – mit der Forderung, entgegen der bisherigen Zusage die vorhandene Diesellok nicht an die SWEG zu vermieten, sondern diese abzuziehen, obwohl man sie anderswo nicht brauchte.


Der Oberstenfelder Bürger Reinhold Rassfeld schrieb sich die Finger wund zugunsten der Bottwarbahn. Die Kommunen und sogar die Bundesbahn mussten ihn ernst nehmen. Fasst hätte er Erfolg gehabt. | Stadtarchiv Beilstein

Im September 1968 ging der auf Regelspur umgestellte Abschnitt Marbach – Steinheim in Betrieb, nur für Güterzüge. Zum Jahresende 1968 ließ die Bundesbahn den restlichen Güterverkehr der Schmalspurbahn auf, nachdem im Zuckerrübenverkehr bis vor Weihnachten nochmals alle Räder gerollt waren und es zwei Lokomotiven gebraucht hatte, das Aufkommen mit mehreren Güterzugpaaren pro Tag zu bewältigen. Im Januar und März 1969 gingen die Bürger im Bottwartal nun auch auf die Barrikaden, wie vormals die Honoratioren im Zabergäu: Mit einer Kolonne aus Bulldogs, welche die Zusatzbelastung und Überlastung der Straßen verdeutlichen sollte, legten Bürger aus den Anliegergemeinden bewusst den Straßenverkehr lahm, geduldet von den Gemeinden und der Polizei. Organisator der Aktionen war der Zahntechniker Reinhold Rassfeld aus Oberstenfeld, der sich unermüdlich und streitbar für die Bahn einsetzte und dabei von den Gemeinden unterstützt wurde. Schon zuvor hatte die Bundesbahn zugegeben, „durch die von Herrn Rassfeld vorgelegten Zahlen [sei] eine neue Situation entstanden, die nüchtern geprüft werden müsse.“ Rassfeld hatte allerdings nichts anderes getan, als was Aufgabe des Verkehrsamtes der Bundesbahn gewesen wäre: Angaben über das Verkehrspotenzial des Tales zusammenzustellen, also das Aufkommen, das ein williger und fähiger Betreiber einer Eisenbahn hätte erreichen können, wenn er sich darum gekümmert hätte.


Einer von Reinhold Rassfelds Flugzetteln. In diesem Fall zu spät(h): Bis die Regionalpolitik merkte, dass eine S-Bahn ins Bottwartal nicht realistisch sei (so wenig wie heute: das Lösungswort heißt Überland-"Straßenbahn", sprich Regional-Stadtbahn), hatte die Bundesbahn bereits Fakten geschaffen durch die Auflassung des Restbetriebs. Kleine Korrektur des Rassfeldschen Aufrufs: Die Bottwarbahn war keine Kleinbahn. Und - zur Zeit ihrer Erbauung - war die Schmalspur kein Fehler, sondern das hochwertige staatliche Schmalspursystem Württembergs eine hervorragend passende (und die einzig rentable) Lösung. | Vorlage: Stadtarchiv Beilstein

Als fatal erwies sich zu jener Zeit, dass der Bundesbahn die Kosten für die erfolgte Umspurung der Zabergäustrecke nicht gering aus dem Ruder gelaufen waren. Es kam hinter den Kulissen zu einem harten Streit zwischen Land und Bundesbahn über die Frage, ob der Finanzvertrag von 1963/64 vorsehe, ob sich das Land auch an ungeplanten Mehrkosten beteilige, was das Land schließlich verneinte. Von diesem Vorgang erfuhren die Verhandlungsführer der Aktionsgemeinschaft Bottwartalbahn nichts, er erschließt sich erst heute über die Archivakten des Innenministeriums. Die Folge war jedenfalls, dass die Bundesbahn zu weiteren Aktivitäten zur Umspurung von Bahnstrecken mit dem Land keine Lust mehr hatte und die weitere Diskussion zum Umbau über Steinheim hinaus im Sande verlaufen ließ. Im diesem Rahmen äußersten Beteiligte in Sachen Bottwarbahn auch die Meinung, man habe von der Wertigkeit und Rangfolge her wohl eher die falsche Strecke umgestellt, das Bottwartal hätte Vorrang vor dem Zabergäu haben müssen.

Kleine Lektion in Rechtskunde

Diese Erkenntnis nützte aber nichts mehr. Der Bahnbetrieb im Bottwartal war auf Silvester 1968 vorbei. Die Regionalpolitik freute sich indessen regelrecht darauf, dass die Schmalspurschienen verschwänden, was ab März 1969 auch geschah. Man sah sie als Hindernis für die moderne Bahn – ein grandioser Irrtum. Örtliche Landtagsabgeordnete wie Claus Weyrosta oder Lothar Späth formulierten Vorstellungen einer ihnen vorschwebenden regelspurigen „S-Bahn“ ins Bottwartal, obwohl die Bundesbahn selbst zu jener Zeit noch keine klaren Vorstellungen vom geplanten S-Bahn-Netz Stuttgart hatte. Kühl beschied die Stuttgarter Direktion nun die Politvertreter, bei einer S-Bahn-Strecke ins Bottwartal würde es sich um den Neubau einer Bahnstrecke handeln, für die ein ganz neues Rechtsverfahren nötig sei. Zudem seien höhengleiche (d.h. ebenerdige) Kreuzungen von Schiene und Straße dann nicht mehr zulässig. Die neue Bahn müsse durchweg auf Dämmen oder in Unterführungen errichtet werden. – Beides wäre selbstverständlich weder angemessen noch bezahlbar gewesen. Belämmert musste die Aktionsgemeinschaft also zur Kenntnis nehmen, dass mit dem Ende des Zugbetriebes auf der Schmalspurbahn auch das Betriebsrecht für die bisherige Bahn erloschen war, und damit auch für jede neue, ein Zustand, den (nach damaliger Gesetzlage) selbst ein Hobbyjurist hätte gut voraussehen können – und den man hätte unbedingt vermeiden müssen. Die starre Haltung der Gemeinden und der Aktionsgemeinschaft, die Schmalspur zum Sündenbock zu machen und unbedingt ausschließlich an einer Umspurung festzuhalten, hatte das Kind mit dem Bade ausgeschüttet: Sie hätten die Chancen der Bahnstrecke unabhängig von der Spurweite wahrnehmen können. Sie hätten mit allen Mitteln, notfalls mit den verhassten Betriebskostenzuschüssen an die Bundesbahn, versuchen sollen, den Status quo – die noch immer funktionierenden Schmalspur – beizubehalten, um auch nur etwas mehr Zeit zu gewinnen. Doch die Kommunen forderten alles, die gesamte Umspurung als aus ihrer Sicht alleine selig machendes Mittel. Sie bekamen (fast) nichts: den umgespurten Appendix bis Steinheim – damit war Ende. Die Bahn, um die sie sich so bemüht hatten, war tot. Nach dieser politischen Peinlichkeit für die Regionalpolitik versiegten die Aktivitäten in Sachen moderner Schienenverkehr ins Bottwartal alsbald. Die Straßenbauverwaltung meldete ihre Wünsche bezüglich des Bahnkörpers an, für Umfahrungsstraßen in Großbottwar, Sauserhof, Oberstenfeld und Beilstein. Das Kapitel Bahnbetrieb im Bottwartal war – für viele überraschend - beendet.

Dabei hatte es selbst der Schmalspur nicht an Zuspruch gefehlt: Die hatte sich ab 1965 zu einem Touristenmagnet an sich entwickelt, das Personal fuhr an einigen Sonn- und Feiertagen eigens mit einer der beim Publikum zunehmend beliebten Dampfloks anstatt der Diesellok und schmückte den „Dampfer“ sogar.  In dieser Zeit gründete sich nicht nur in Norddeutschland die erste Museumseisenbahn in der Bundesrepublik (www.museumseisenbahn.de). Aktivisten aus dem Süden zerbrachen sich über vergleichbare Aktivtäten ebenfalls den Kopf – nämlich für die Bottwartalbahn. Dort hatten zwei Privatleute im Spätherbst 1966 – nachdem der letzte planmäßige Personenzug schon sang- und klanglos gefahren war – eine Sonderfahrt organisiert, die Teilnehmer aus dem ganzen Bundesgebiet gezählt hatte. Auf jener Fahrt begannen etliche Fahrgäste und Eisenbahnfreunde große Pläne zu schmieden: So eine Bahn müsste man doch wenigstens als Touristenattraktion erhalten? Die miteinander bekannt gewordenen Teilnehmer gründeten schon 1967 den Verein Deutsche Gesellschaft für Eisenbahngeschichte (www.dgeg.de). Eines der Ziele gemäß Satzung lautete: Einführung eines historischen Bahnbetriebes auf der Bottwarbahn. Schon rasch, schon aufgrund der Erfahrungen mit dem Sonderzug von 1966, mussten die Ehrenamtlichen aber erkennen, dass mit der Bundesbahn in solchen Dingen keine Zusammenarbeit möglich war – logisch, wenn diese die Strecke nur loswerden wollte. Mit Zustimmung der Vereinsmitglieder wandten sich die Aktivisten dem Ziel zu, solche Fahrten nun auf der privaten Jagsttalbahn der SWEG durchführen zu wollen, was nach einigen Anlaufschwierigkeiten auch gelang (www.jagsttalbahn.de). Der Versuch, einen kompletten Zug der Bottwarbahn ins Jagsttal zu „exportieren“, misslang aber schon aufgrund der Tatsache, dass man dort beim Bau gespart und das technische Niveau niedriger gesetzt hatte als bei der staatlichen Schmalspur: Die Loks der Bottwarbahn waren von der Meterlast her zu schwer für die Bahnbrücken im Jagsttal.

"War das schon das Ende?"

Belämmert musste die Bevölkerung im Bottwartal erkennen, dass die so geliebte Bahn plötzlich entschwunden war. Der genannte einzige private Sonderzug war so rasch von Auswärtigen ausgebucht gewesen, dass die Einheimischen kaum hatten mitfahren können. „War das schon der Abschied?“, fragte ein Beitrag in einer Bahnhobbyzeitschrift. Ja, das war er. Wünsche auf weitere Fahrten lehnte die Bundesbahn auf Hinweis auf die nicht mehr nicht zugelassenen Personenwagen ab.  Dennoch wagte ein anonymer Leserbriefschreiber – der Stuttgarter Eisenbahnfreund Helmut Müller - den Vorschlag, auch im Bottwartal wenigstens Museumsfahrten mit den bei den Touristen beliebten alten Fahrzeugen einzuführen, nachdem man sie den Alltagskunden zu Recht nicht mehr zumuten könne. Müller sah dies als zusätzliches Mittel an, um die Bahn publik zu machen und für das Anliegen ihrer Erhaltung zu werben. Doch er wurde per öffentlicher Erwiderung in der Presse hart abgewatscht – vom Vorsitzenden der Aktionsgemeinschaft Bottwartalbahn persönlich, dem Ludwigsburger Landrat Ulrich Hartmann. Dieser kanzelte die Anregung ab, dergestalt, dass die Zukunft der Bahn ausschließlich im modernen Nah- und Güterverkehr auf der Regelspurschiene liege und daher keine Schmalspuraktivitäten erwünscht seien. – Auf die Möglichkeit, dass man beides hätte gut kombinieren können, zunächst zur formalen Erhaltung des Betriebs auf der Bestandsstrecke, längerfristig etwa auf einem Dreischienengleis zwischen Beilstein, Ilsfeld und der beliebten Schmalspurstrecke durch das Schozachtal, kam Hartmann offenbar nicht. Diese einzige Chance, die Schmalspur vorläufig weiter als entscheidende Ader der Bottwarbahn zu durchbluten, nahm die Aktionsgemeinschaft in Gestalt von Hartmann sich selber weg.  

Der Eisenbahnfreund Rainer Emhardt aus Calw-Hirsau regte parallel bei der Stadt Beilstein an, wenigstens einen Teil des Bahnhofs Beilstein als technische Freilichtanlage zu erhalten. Auch den Beilsteiner Bürger Hartmut Fries trieb eine ähnliche Idee um. Er versuchte hartnäckig, von der Bundesbahn die Freigabe zu bekommen, dass die Stadt Beilstein eine der beiden alten Dampfloks kaufen könne, die noch in Oberschwaben fuhren und deren Typ einst zunächst im Bottwartal gefahren waren (Mallet-Type). Doch für diese beiden gab es schon längerfristige, fest angemeldete Interessenten, nämlich die Stadt Bad Buchau und die Ingenieurschule Aalen. Die Bundesbahn bot Fries deshalb verschiedene andere Schmalspurloks an, unter anderem aus Mudau. Fries beharrte jedoch fest auf seinem Wunsch nach einer Mallet-Lok als alleinig für die Bottwarbahn typische Maschine. Eine der noch vorhandenen Loks sächsischen Ursprungs (wie die heutige Steinheimer Lok 99 651) lehnte er ab, da diese nach seiner Meinung keinen ausreichenden Bezug zur Bottwarbahn besäßen. Doch die oberschwäbischen Maschinen gingen an die anderen Käufer, wobei Aalen die schon fest geplante Abholung kurzfristig absagte und dafür der erwähnte Verein DGEG einsprang. Schließlich übernahm die Stadt Steinheim die Lok 651 zunächst als Leihgabe. Die beiden anderen übrigen Maschinen sächsischen Ursprungs wurden 1970 in Heilbronn nach letztem Angebot an Beilstein verschrottet. Auch Beilstein hatte ein ganz bestimmtes Ziel gehabt, nur dieses – und bekam am Ende gar nichts.

 
Impressum :: Nach oben